Das Tor zur Unterwelt
Sie sind unergründlich tief und gelten als Tor zur Unterwelt. Den Seen des Schwarzwaldes werden magische Kräfte zugeschrieben. Wehe dem, der die Ruhe des Sees stört. Eine literarische Spurensuche zu den geheimnisvollen Seen.
Selbst im hellsten Sonnenlicht sind sie mysteriös, dunkel und unergründlich. Kein Wunder, dass sie in alten Volkssagen als Tor zur Unterwelt beschrieben werden. Niemand traute sich in die Nähe der Karseen, denn dort lebten allerlei Waldgeister, Nymphen und Elfen. Wer die Ruhe des Sees störte, beschwor furchtbare Unwetter herauf oder wurde gar vom Wasser verschlungen.
Gemeinsam mit dem Literaturexperten Wolfgang Tischer von literaturcafe.de bin ich unterwegs zum Wildsee im Nationalpark Schwarzwald. Ein enger Fußpfad führt steil abwärts, „Nur für trittsichere Wanderer“ warnt ein Schild. Wir steigen vorsichtig über meterhohe Felskanten, zwängen uns über oder unter Baumstämme, die den Weg blockieren. Plötzlich hallt ein Donnergrollen durch den Talkessel. „Da hat wohl jemand einen Stein in den See geworfen,“ mutmaßt Tischer augenzwinkernd. Wer Steine in den See wirft – so besagt es der Volksglaube – löst ein böses Unwetter aus. Die Steine verstopfen den unterirdischen Zugang zu den Untiefen erzählt Tischer. „Deshalb sind die Seewesen zornig und schmeißen die Steine wieder zurück.“ Den Sagen nach sind die Seen durch ein unterirdisches Höhlensystem miteinander verbunden, die bis ins Meer münden.
Die Magie des Sees
Auf uns prasseln keine Steine, aber fette Regentropfen herab. Als wir die Talsenke erreichen, wird uns die Kraft der Natur eindrücklich vor Augen gemalt. Vor rund 12.000 Jahren hat sich ein Gletscher durch das obere Schönmünztal gefressen und die zwölf Meter tiefe Mulde herausgeschabt. Um den See fällt die Karwand 100 Meter schroff ab, der See ist wie abgeschnitten von der übrigen Welt. Still ist es, geradezu unheimlich. Nur das rhythmische „Plopp, Plopp“ der Regentropfen ist zu hören. Nebelschleier ziehen gespenstisch über dem See, formen sich zu kleinen Wirbeln, lösen sich auf, um sich an anderer Stelle neu zu bilden. Oder sind es doch Elfen, die über das Wasser tanzen? „Eigentlich ist das Wetter ideal für unsere literarische Expedition“, lacht Tischer. „So bekommen wir den richtigen Eindruck von der Magie des Sees.“